Heinz Sielmann (* 2. Juni 1917 in Rheydt; † 6. Oktober 2006 in München) kam schon früh mit seinem späteren Berufsfeld in Verbindung. Sein Vater nahm ihn schon in Kindheitstagen mit in die Natur. Er prägte den Jungen mit seiner Aussage: “Die Natur ist ein Gottesgeschenk, Tiere und Pflanzen sind Teil unseres Lebens.”

Schon als Zehnjähriger durchstreifte er allein die Umgebung seines ostpreußischen Wohnortes Königsberg. In den 1920 und 30er Jahren war die Natur dort noch so ursprünglich wie seit Menschengedenken. Die stillen Moore und Bruchlandschaften, die weiten Wälder und Seen, die reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt prägten sein Leben.

[threecol_two]Sielmann: “In meiner Kindheit sah ich viele Vogelarten, und der Wunsch erwachte, sie alle mit dem Namen zu kennen. Ebenso wollte ich Näheres über ihre Lebensweise erfahren. Dazu gehörte ein gutes Fernglas, viel Geduld und sehr viel Zeit. Das Glas fand ich im Schreibtisch meines Vaters und die notwendige Zeit wurde von den Schulaufgaben eingespart. Was ist schon Schule, wenn man solch interessantes Treiben der Vogelwelt beobachtet. Am meisten fasziniert mich das Verhalten der Kampfläufer.[/threecol_two] [threecol_one_last]In meiner Kindheit sah ich viele Vogelarten, und der Wunsch erwachte, sie alle mit dem Namen zu kennen[/threecol_one_last]

Es sind die wohl erstaunlichsten Bewohner der Haffwiesen. Kein Männchen gleicht dem anderen, keines trägt an seinem auffallenden Kragen dieselben Farben. Auch Länge und Glanz der Schmuckfedern, die Größe des Gesichts, selbst die Färbung an Schnabel und Beinen ist verschieden. Man muss nur genau hinschauen, dann erkennt man es sofort. Das hat eine bestimmte, biologische Bedeutung, die aber erst bei der Balz und beim Behaupten des Reviers zur Geltung kommt. In meinem Wiesenland gab es drei Balzplätze der Kampfläufer.

Von April bis tief in den Juni hinein versammelten sich dort 20 bis 30 Vögel, um ihre seltsamen Turniere auszutragen. Sobald am frühen Morgen der Schwarm eintraf, eilte jedes Männchen flink auf seinen Platz. Die Arena, etwa zehn Meter breit und ebenso lang, war genau aufgeteilt. Dabei geht es nach streng protokollarischem Rang, den vornehmlich Alter und Stärke bestimmen. Dem höchsten Tiere der Rangordnung war die Mitte vorbehalten, wo sie ihre Ehrenplätze fast immer besetzt hielten und eifersüchtig gegen Artgenossen bewachten. Die Männchen auf vorerst noch niedriger Stufe der Hierarchie mussten sich mit den Plätzen am Rande begnügen.

Die machte ihnen kein anderer streitig und so hatten sie es nicht nötig, ständig dort zu sein. Aber die Inhaber der Plätze im mittlerem Rang mussten schon eher aufpassen, dass sie kein jüngerer Artgenosse verdrängte. Denn es kann sich jeder vorkämpfen, sogar bis ins Zentrum der Arena, wenn es ihm gelingt, einen dort residierenden Vertreter der oberen Rangordnung zu vertreiben. Eine so auffallende Versammlung balzbereiter Männchen muss die Weibchen anlocken. Das ist der Sinn der Sache. Wenn sie dann erscheinen, auch nur rasch vorüber schweben, beginnt gleich ein imposantes Zeremoniell der Begrüßung.

Die Vogelmännchen schlagen mit den Flügeln, entfalten ihren Balzkragen und stellen die Federohren auf. Sie umkreisen ihren halbmeterbreiten Stammplatz, mit Schnabelhieben traktieren sie temperamentvoll ihre Nachbarn oder liefern ein Scheingefecht ohne gegenseitige Berührung. Sobald eines oder mehrere Weibchen landen, sinken die flatternden Federkörper der Männchen, vor Erregung zitternd, zu Boden, richten sich dann wieder auf und grüßen die Damen mit nach unten gerichtetem Schnabel. Das Weibchen hat jetzt die freie Wahl unter den vielen Bewerbern, aber nie fällt die Entscheidung zugunsten eines Partners vom Rande.”

Heinz Sielmann nahm ein Studium der Biologie und Zoologie an der Reichsuniversität Posen auf, beendete es aber nie. Sein Leben war der Tierfilm, die er in den ersten Jahrzehnten seines berufliches Daseins im Kino (1930 bis 1960er Jahre) und später im TV (1970er bis 2000 Jahre) zeigte. Unvergessen ist hier seine Serie “Expeditionen ins Tierreich”, die seinen Status als Legende begründete.

Seinen Durchbruch bei den Birdern – die damals noch Vogelfreunde hießen – erzielte er mit dem Film “Zimmerleute des Waldes”, wofür er den Bundesfilmpreis erhielt. Mit „Zimmerleute“ meinte er die Spechte und zeigte von diesen spektakuläre Aufnahmen, die wiederum in England ausgestrahlt wurden, was ihm dort den Spitzennamen “Mister Woodpecker” einbrachte. Die scheuen Tiere so nah vor die Linse zu bekommen, verlangte ihm eine Menge ab, er musste oft tief in die Trickkiste greifen. Selbst sein Freund, der Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der Vater der modernen Verhaltensforschung, meinte: “Wenn Sie die Nistkammern der Spechte öffnen, ist es mit dem Brutgeschäft vorbei.”

Sielmann gab nicht auf und setzte auf Geduld. Fast zwei Wochen lang entfernte er Stück für Stück die Rückseite der Nisthöhle und setzte stattdessen eine abgedunkelte Glasscheibe ein. Die Schwarzspechte gewöhnten sich langsam an ihr neues “Fenster”, tolerierten am Ende sogar die Scheinwerfer. Man sah so zum ersten Male, wie die Jungen mit den Eltern interagieren, die kopfunter in den hohlen Baum klettern. So entstand ein fantastischer Film, den man noch heute im Internet ansehen kann und sollte.

Sein wohl spektakulärstes Unternehmen war der Film “Herrscher des Urwalds”, für den er zwei Jahre im Kongo filmte und der später in 27 verschiedenen Sprachfassungen ein internationales Publikum begeisterte. Zur Weltausstellung in Brüssel wurden in einer ersten Fassung, im neuartigen Cinemascopeverfahren, noch weitgehend unbekannte Tiere gezeigt, wie z. B. der Kongopfau, der große Nashornvogel oder der Palmenfruchtgeier, der unter den Greifvögeln eine Besonderheit ist, weil er sich vorwiegend auf pflanzliche Kost spezialisiert hat.

Heinz Sielmann berichtete dazu später: “Zu den wunderbarsten Entdeckungen in der Vogelwelt gehört sicherlich der Kongopfau. Sein Entdecker Dr. James Chapin war 1958 in Afrika in unserer Mitte. Zwei blaue Federn eines noch unbekannten Vogels, die er im Kopfschmuck eines schwarzen Jägers gesehen und dem Mann für eine Handvoll Tabak abgekauft hatte, war der Beginn einer unermüdlichen Suche gewesen. Aber nicht in Afrika hat Chapin schließlich den Afropavo Cengensis entdeckt, sondern als ausgestopftes Tier in einer Dachkammer des Kolonialmuseums Tervueren bei Brüssel.

Mit einem falschen Etikett versehen, das sein asiatische Herkunft behauptete, hatte man das Tier dort vergessen, Wie und durch wen der Kongopfau in das belgische Museum gelangt war, wurde nie geklärt. Jedenfalls trug er Federn der vollkommen gleichen Art, wie sie Chapin schon besaß, und so musste der Vogel aus Zentralafrika sein. Mit seinen farbigen Zeichnungen versehen, kehrte Dr. Cahpin damals in den Kongo zurück, zeigte die Bilder den Eingeborenen und versprach jedem eine hohe Belohnung, der ihm einen Vogel brachte.

Es vergingen viele Monate, bis er endlich ein erlegtes Exemplar in den Händen hielt. Es war ein Männchen mit herrlich schimmernden königsblauem Gefieder. Doch noch immer war kein lebendes Exemplar gefangen worden und es sollten 23 Jahren vergehen, bis ihm das mit unserem Zutun gelang. Sechs Wochen war unser fähigster Mann Charles Cordier unterwegs, mit einer großen Fangmanschaft, vielen Netzen, Körben, usw. unterwegs, bis er schließlich mit zwei prachtvollen Männchen und einem Weibchen zurückkehrte. Es war der Höhepunkt meines gesamtem filmerischen Schaffens in der Ornithologie, als die Geschöpfe nach drei Monaten so eingewöhnt waren, dass wir mit ihnen in Gehegen im Urwald drehen konnten. Den Tieren geschah kein Leid, nach den Dreharbeiten wurden sie exakt an der Stelle wieder in die Freiheit entlassen .”

Sielmann war von den Vögeln und ihrem Verhalten faszinierte und beobachtete sie wo immer er nur konnte. Stundenlang saß er da, nur mit seinem geliebten Leica Trinovid, sah sich ihr Verhalten an und gab Anekdoten gerne an Kinder und Jugendlich weiter. Ein Beispiel: “Wo Gänse einmal einem Fuchs begegnet sind, dort sind sie äußerst vorsichtig. Junggänse, die mit ihren Eltern in diese Gegend kommen, erfahren zunächst höchstens, dass man dort dauernd sichert. Taucht wirklich ein Fuchs auf, so fliehen alle zum Wasser.

Dort allerdings rotten sie sich zusammen und schwimmen drohend und rufen alle auf ihn zu – vorausgesetzt, dass er nicht schon verschwunden ist. Da die Gänse den Fuchs nicht wirklich angreifen, kann er sich das Schauspiel ruhig ansehen. Es dient auch gar nicht so sehr dazu, ihn zu bekämpfen, sondern ist Unterricht für die Gänsekinder. Die lernen nämlich aus diesem ‘Anhassen’, wer ihr Feind ist. Sie lernen es von den erfahrenen Eltern und anderen Familienmitgliedern. Gänse können Erfahrungen weitergeben. Das ist natürlich viel praktischer, als wenn jedes dumme Gänschen selbst ausprobieren müsste, wer es totbeißen will.”

Heinz Sielmann, der in seinen letzten Lebensjahren noch zum Professor ernannt wurde, hatte zeitlebens ein Fernglas dabei, wenn er auf Tour war. Nicht selten war es das leichte Trinovid 10 x 40. Interessant ist bei dem alten Glas zu sehen, wie wenig ihm die Jahrzehnte anhaben konnten. Brillanz und Schärfe sind heute noch mehr als ausreichend für spannende Beobachtungen, und einige Kratzer verleihen dem gutem Stück Charakter.

Der Produktname Trinovid weist dabei auf drei (“tri”) Neuheiten (“nov”, Novität) hin, die das Modell zur damaligen Zeit zur state of the art machten. Ein schlankes Design mit angenehmer Ergonomie, echte Innenfokussierung und hohe Abbildungsleistung waren die drei Neuheiten, mit denen das Trinovid eine bis dahin unerreichte Qualität auf dem Markt der Ferngläser dargeboten hat. Bei der echten Innenfokussierung wurden nur die Linsen im abgedichteten Fernglas und keine äußeren Objektiv- oder Okularteile verschoben. So entsteht beim Fokussieren weder okular- noch objektivseitig eine Saugwirkung, durch die Schmutz oder Feuchtigkeit in das Glas eindringen können.

Dann folgten weitere Filme wie “Galapagos” mit dem Blaufußtölpel oder dem Kuhreiher, in “Papua Neuguinea” wo erstmals Lauben- und Paradiesvögel gefilmt wurden. Für “Lockende Wildnis” ging es u. a. zu den Schnee-Eulen in den hohen Norden Amerikas.

Mit Beginn des Farbfernsehens war die Ära des Tierfilms im Kino schlagartig vorbei. Sielmann konzentrierte sich auf das neue Medium und brachte nun eine Reihe von Kurzfilmen in das TV, die er an Originalschauplätzen drehte, u. a. in Asien und Afrika. Aber auch hier schlug sein Herz für die heimische Tierwelt, und er brachte die “possierlichen Tierchen” in seiner berühmten nasalen Sprechart in die Wohnzimmer der 1970er und 1980er Jahre. Wichtig war ihm hier immer, dass das natürliche Verhalten der Individuen gezeigt wird. Vögel die man täglich sieht, wie die Amseln, die Tauben und die Meisen brachte er den Zuschauern, jung und alt, näher.

Sielmann liebte die freie, möglichst unberührte Natur, in allen Ländern, dennoch stand er den Zoos und Wildparks offen gegenüber und empfahl auch ihre lehrreiche Einflussmöglichkeit: “Heutzutage braucht man nicht mehr auf Safari zu gehen, um zum Beispiel das Verhalten der Tiere in einer naturnahen Umgebung hautnah mitzuerleben. Großzügig gestaltete Freigehege, hohe Flugvolieren, in denen der Besucher das Tier, die Vögel, gerade in seiner natürlichen Verhaltensweise intensiv beobachten kann, gehören heute zu dem Konzept eines modernen zoologischen Gartens. Zoos sind Anschauungsunterricht vor der Haustüre, gerade für Kinder und Jugendliche. Dadurch wird die Liebe zur Natur geweckt bzw. gesteigert.”

1988 entstand Sielmanns letzter großer Film “Tiere im Schatten der Grenze”, der in den Gebieten der ehemaligen DDR entstand. Die außergewöhnlich intakte Tier-, Vogel- und Pflanzenwelt am “Todesstreifen” bannte ein Millionenpublikum an den Bildschirm. In den 1990er Jahren wurde es in der Öffentlichkeit ruhiger um ihn, was seinem Schaffensdrang aber keinen Abbruch tat. Er wirkte im Hintergrund, in Verbänden (z. B. BUND, NABU, WWF) und setzte sich hauptsächlich für den Schutz der heimischen Tierwelt ein.

Die Gründung seiner Stiftung krönte Heinz Sielmanns Lebenswerk; schon in den 2000er Jahren verzeichnete sie große Erfolge, und noch heute wird sie – zusammen mit seiner Frau als Ehrenvorsitzende – weiter betrieben. Sie hat als Stiftungsziel den Leitsatz “Naturschutz als positive Lebensphilosophie” benannt.

Ein Schlusswort (2005) für diesen Artikel kreierte Heinz Sielmann kurz vor seinem Tod selber, der uns allen ein echtes Vorbild sein kann: “Nun blicke ich auf ein Lebenswerk zurück. Ein langes Leben in der Natur. Ich selbst habe 30 Unterrichtsfilme zusätzlich zu den “Expeditionen” gemacht – Dias, Tonträger, Mikroskope, Dutzende von Büchern – alles wunderbare Lehrmittel, aber nichts inspiriert mehr als das Erkennen durch persönliches Erleben. Wir können nur das schützen, was wir kennen und lieben gelernt haben.

Deshalb sollte man außerhalb des Schulunterrichts die Kinder an die Hand nehmen und sie von klein auf an die Natur heranführen, damit sie die Natur kennen und lieben lernen. Das ist, glaube ich, eine ganz große, bedeutende und wirksame Methode, die ich auch mit meiner Stiftung unterstütze. Unsere Wälder sind immer noch Zufluchtsort vieler Wildtiere. Möge Gott geben, dass es so bleibt! Denn was wäre unsere schöne Heimat ohne Wald und Wild? Eine trostlose Öde statt frischem Grün in jedem neuen Jahr.”

Text
Dr. Frank B. Metzner mit Karoline Dotterweich
Bilder
Archiv, Tierstiftung, Heinz Sielmann Stiftung

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